Im Fernsehfilm „Ein fliehendes Pferd“ (1985, Regie Peter Beauvais) trifft das Ehepaar Helmut und Sabine Halm im Urlaub auf Helmuts alten Schulfreund Claus Buch und dessen Frau Helene. Beide Männer haben sich zu komplett unterschiedlichen Charakteren entwickelt und da die Freundschaft über die Jahre nie gepflegt wurde, reiben sich ihre Lebensentwürfe stets unausgesprochen aneinander. Der zurückgezogene, stille Halm führt mit seiner Sabine ein weitgehend interessen- und ereignisloses Leben, dem gegenüber stehen der draufgängerische, vielseitig interessierte und umtriebige Claus und dessen Frau Helene, genannt Hel, die sowohl ihre Aktivität auf dem Tennisplatz als auch die zwischen den Laken nur zu gerne betonen. Am Ende des Films gesteht Buch Halm bei einem Segeltörn zu zweit gewisse Unvollkommenheiten der Beziehung, kurz danach ertrinkt Buch scheinbar in den reißenden Fluten. Die von Buch empfundenen Unvollkommenheiten werden danach in einer anfänglichen Trauerrede von Hel schnell zu einer flammenden Dekonstruktion der Beziehung und der Film endet mit der überraschenden Rückkehr von Buch und der ebenso aprupten Rückkehr zur Normalität des Ehepaars Halm.
Mit der wenig pompösen, gemächlichen Erzählweise eines Fernsehfilms erhascht man einen Blick in das unspektakuläre Leben des Helmut Halm. Besonders die Eingangssequenz zeigt das Ehepaar Halm als durchschnittlich gelangweilt, durchschnittlich liebend und vor allem generell durchschnittlich. Man ist im Urlaub, man sitzt im Cafe, man hat eigentlich unterschiedliche Vorstellungen vom Zeitvertreib und ist schon so lange zusammen dass man Routine und Spießigkeit relativ gefahrlos im Alltag unterbringen kann.
Sowohl seine Frau Sabine, als auch das Ehepaar Buch fungieren innerhalb der Geschichte für mich nur als Illustrationen für Helmuts Abneigung gegen Neues und Veränderung. Gerade die beinahe nervenaufreibend plakativ dargestellte Perfektheit der Buchs lässt einen innerlich Partei für Helmuts, zugegeben, unspannende Person nehmen. Obwohl Sabine eine klar erkennbare Faszination für die Buchs, besonders für Claus, hegt, lässt sich Helmut auch dadurch nie wirklich aus der Ruhe bringen. Er liebt sein Leben wie es ist und möchte nichts daran ändern, nach 12 Jahren immernoch in dasselbe Ferienhaus am Bodensee fahren und dieselben Speisen im Restaurant bestellen. Buch kommt, trotz seiner Anstrengungen, an diesem lethargischen Schutzschild nicht vorbei. Die Buchs fassen täglich neue Pläne, sind sportlich sehr aktiv, verfolgen eine Art asketische Ernährungsweise und erfinden sich nach eigener Einschätzung stündlich neu.
Besonders am Ende ergibt sich durch den ruhigen Ton des Films ein spezieller Witz und Charme. Helmut möchte auf zu neuen Ufern und kauft Sportdress und Fahrrad, versucht die zeitweilig sehr unangenehme Begegnung mit Claus als Inspiration zu nutzen, vielleicht auch aus einem Schuldgefühl heraus seiner Person Tribut zu zollen. Nach Hels kleinem Zusammenbruch und Geständnis kehrt Buch jedoch völlig kommentarlos zurück, ebenso kommentarlos verschwindet Hel mit ihm in eine dem Zuschauer unbekannte Zukunft. Die leicht verstörten Halms finden innerhalb von Minuten zurück in ihre gemütliche, bequeme und altbekannte Welt.
Besonders schön hierbei die Wiederholung der Anfangsszene, diesmal jedoch trotz beinahe gleichem Verlauf und Wortlaut, ergänzt um liebevolle Zuwendung der beiden und die Erkenntnis, dass die Halms sich als Menschen mit all ihren Facetten (oder auch Nicht-Facetten) und vor allem als Paar sehr zu schätzen wissen und darüber glücklich sein dürfen. Die Buchs waren hierfür das kurze, aber intensive Lehrstück am lebenden Beispiel.
Mareen Fischer
Dienstag, 12. Januar 2010
Positionspapier "Eine blassblaue Frauenschrift"
In dem österreichischen Fernsehfilm „Eine blassblaue Frauenschrift“ von 1984 wird das sonst sehr geordnete Leben des Leonidas Tachezy durch einen Brief einer ehemaligen Geliebten komplett durcheinander geworfen. Der mit der schönen Millionärserbin Amelie Paradini verheiratete Sektionschef des österreichischen Unterrichtsministeriums hatte einst eine heftige Liebesaffäre mit der Jüdin Vera Wormser. Diese bittet ihn in ihrem Brief einem „begabten jungen Mann“ einen Platz an einem Gymnasium in Österreich zu verschaffen, da dieser in Deutschland (des Jahres 1936) die Schule nicht mehr besuchen könne. Tachezy glaubt einen Sohn mit Vera Wormser gezeugt zu haben und sieht sich daraufhin in einer persönlichen Krise.
Besonderes Augenmerk möchte ich im Folgenden auf die Darstellung des Leonidas Tachezys und der beiden weiblichen Hauptdarsteller Amelie Paradini und Vera Wormser legen.
Zu Tachezy ist als erstes zu sagen, dass dieser in verschiedenen Entwicklungsstufen gezeigt wird, neben der Gegenwart als erfolgreicher, gesetzter Mann im Jahre 1936 sehen wir auch die Ereignisse der Liebesaffäre Jahre zuvor und seine Jugend als Sohn eines armen Gymnasiallehrers und mittelloser Nachhilfelehrer. Tachezy wird von zwei verschiedenen Schauspielern dargestellt, in jüngeren Jahren von Gabriel Barylli, in den beiden anderen Zeitabschnitten von Friedrich von Thun.
Hierbei ist zu beachten, dass Friedrich von Thun als Synchronsprecher für Gabriel Barylli fungierte, demnach spricht (und denkt) die Figur des Leonidas Tachezy während des ganzen Films mit derselben Stimme. Da der Film sich über eine relativ große Zeitspanne erstreckt und mit Zeitsprüngen, Rückblenden sowie einer Erzählerstimme aus dem Off arbeitet, ist diese technische Feinheit sehr hilfreich um die Figur des Leonidas Tachezys über die Jahre zu zeichnen. Obwohl man teilweise ganze Jahrzehnte in die Vergangenheit blickt und die Ähnlichkeit des jungen mit dem älteren Tachezy sich nur erahnen lässt, bringt die gleichbleibende Stimme den Zuschauer näher an die Figur heran. Äußerlich macht er eine Veränderung durch, die innerlichen, moralisch fragwürdigen Verhaltensmuster des Tachezy ziehen sich jedoch durch sein ganzes Leben und dies wird durch die gleichbleibende Stimme akzentuiert. Völlig im Gegensatz dazu stehen die Figuren der Vera Wormser und Amelie Paradini, die trotz der großen dargestellten Zeitspanne jeweils mit denselben Schauspielerinnen besetzt wurden. Nur durch die fantastische Arbeit der Maskenbildner konnte dies glaubwürdig umgesetzt werden.
Während Vera Wormser sich über die Jahre hinweg zu einer Professorin der Philosophie entwickelt, sieht Tachezy in ihren Augen auch nach Jahrzehnten immernoch dasselbe, der Figur wird eine Entwicklung nur beruflich und in gewissem Maße äußerlich (für den Zuschauer sichtbar, nicht für Tachezy) zugestanden, für Tachezy bleibt Wormser immer das Mädchen Vera, welches er als Jugendlicher das erste Mal traf. Ähnliches gilt für die Figur der Amelie Paradini, auch nach Jahren der Ehe fühlt sich Tachezy immer noch als „der Umworbene“, genau wie in den Anfängen der Beziehung miteinander. Paradini scheint weniger gealtert als Wormser, was sicherlich auch ihren Anstrengungen, sich Tachezy jung und schön wie am ersten Tag zu erhalten, zu verdanken ist. Im Film werden diese Anstrengungen sowohl durch ihre asketischen Essgewohnheiten als auch ihre strengen Routinen zur körperlichen Ertüchtigung sichtbar. Allerdings scheint Paradini auch weniger als Wormser eine persönliche Entwicklung durchgemacht zu haben. Sie scheint Tachezy immer noch mit denselben naiven Augen eines jungen Mädchens zu sehen und idealisiert ihn wo sie nur kann. Durch die Tatsache, dass beide Protagonistinnen über die Zeitspanne eines halben Lebens von den jeweils gleichen Schauspielerinnen dargestellt werden, wird anschaulich illustriert dass sie in den Augen Tachezys auf die jeweils eigene Art und Weise immer noch die jungen Mädchen von damals geblieben sind. Zusammen mit der Synchronisation Gabriel Baryllis durch Friedrich von Thun sind Regisseur Alex Corti hier essentiell zum Verständnis und zur Veranschaulichung des emotionalen Innenlebens und Sichtweise des Protagonisten beitragende Kunstgriffe gelungen.
Mareen Fischer
Besonderes Augenmerk möchte ich im Folgenden auf die Darstellung des Leonidas Tachezys und der beiden weiblichen Hauptdarsteller Amelie Paradini und Vera Wormser legen.
Zu Tachezy ist als erstes zu sagen, dass dieser in verschiedenen Entwicklungsstufen gezeigt wird, neben der Gegenwart als erfolgreicher, gesetzter Mann im Jahre 1936 sehen wir auch die Ereignisse der Liebesaffäre Jahre zuvor und seine Jugend als Sohn eines armen Gymnasiallehrers und mittelloser Nachhilfelehrer. Tachezy wird von zwei verschiedenen Schauspielern dargestellt, in jüngeren Jahren von Gabriel Barylli, in den beiden anderen Zeitabschnitten von Friedrich von Thun.
Hierbei ist zu beachten, dass Friedrich von Thun als Synchronsprecher für Gabriel Barylli fungierte, demnach spricht (und denkt) die Figur des Leonidas Tachezy während des ganzen Films mit derselben Stimme. Da der Film sich über eine relativ große Zeitspanne erstreckt und mit Zeitsprüngen, Rückblenden sowie einer Erzählerstimme aus dem Off arbeitet, ist diese technische Feinheit sehr hilfreich um die Figur des Leonidas Tachezys über die Jahre zu zeichnen. Obwohl man teilweise ganze Jahrzehnte in die Vergangenheit blickt und die Ähnlichkeit des jungen mit dem älteren Tachezy sich nur erahnen lässt, bringt die gleichbleibende Stimme den Zuschauer näher an die Figur heran. Äußerlich macht er eine Veränderung durch, die innerlichen, moralisch fragwürdigen Verhaltensmuster des Tachezy ziehen sich jedoch durch sein ganzes Leben und dies wird durch die gleichbleibende Stimme akzentuiert. Völlig im Gegensatz dazu stehen die Figuren der Vera Wormser und Amelie Paradini, die trotz der großen dargestellten Zeitspanne jeweils mit denselben Schauspielerinnen besetzt wurden. Nur durch die fantastische Arbeit der Maskenbildner konnte dies glaubwürdig umgesetzt werden.
Während Vera Wormser sich über die Jahre hinweg zu einer Professorin der Philosophie entwickelt, sieht Tachezy in ihren Augen auch nach Jahrzehnten immernoch dasselbe, der Figur wird eine Entwicklung nur beruflich und in gewissem Maße äußerlich (für den Zuschauer sichtbar, nicht für Tachezy) zugestanden, für Tachezy bleibt Wormser immer das Mädchen Vera, welches er als Jugendlicher das erste Mal traf. Ähnliches gilt für die Figur der Amelie Paradini, auch nach Jahren der Ehe fühlt sich Tachezy immer noch als „der Umworbene“, genau wie in den Anfängen der Beziehung miteinander. Paradini scheint weniger gealtert als Wormser, was sicherlich auch ihren Anstrengungen, sich Tachezy jung und schön wie am ersten Tag zu erhalten, zu verdanken ist. Im Film werden diese Anstrengungen sowohl durch ihre asketischen Essgewohnheiten als auch ihre strengen Routinen zur körperlichen Ertüchtigung sichtbar. Allerdings scheint Paradini auch weniger als Wormser eine persönliche Entwicklung durchgemacht zu haben. Sie scheint Tachezy immer noch mit denselben naiven Augen eines jungen Mädchens zu sehen und idealisiert ihn wo sie nur kann. Durch die Tatsache, dass beide Protagonistinnen über die Zeitspanne eines halben Lebens von den jeweils gleichen Schauspielerinnen dargestellt werden, wird anschaulich illustriert dass sie in den Augen Tachezys auf die jeweils eigene Art und Weise immer noch die jungen Mädchen von damals geblieben sind. Zusammen mit der Synchronisation Gabriel Baryllis durch Friedrich von Thun sind Regisseur Alex Corti hier essentiell zum Verständnis und zur Veranschaulichung des emotionalen Innenlebens und Sichtweise des Protagonisten beitragende Kunstgriffe gelungen.
Mareen Fischer
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